Text Aufbruch 89

Nutzungsrecht für diesen Artikel:
Der Nutzer erhält das Recht zur privaten Nutzung dieses Artikels entsprechend UHG.
Jede weitere Verwertung im Sinne des UHG ist ohne schriftliche Zustimmung nicht zulässig,
Ausdrücklich sind auch Übernahmen in andere Enzyklopädien (z.B. Wikipedia) nicht zulässig!

Das NEUE FORUM war die bekannteste Bürgerrechtsbewegung des Herbstes 1989 in der DDR.
Zugleich mit dem Aufruf zum "Aufbruch 89" der ab dem 10. bzw. 11. September 1989 in der DDR (hier Berlin) als ORMIG Abzug bzw Blaupause kursierte, erschien ein tabellarisches Papier in dem man sich als Mitglied eintragen konnte. Name, Adresse, Beruf, Unterschrift. In Berlin organisierte sich das NEUE FORUM in den Stadtbezirken. Es definierte sich grundsätzlich als übergreifend und somit _keiner_ politischen Richtung zugehörig.

Das Neue Forum ging als erste oppositionelle Vereinigung in jenem Herbst durch die offiziellen Instanzen, um von den DDR Behörden anerkannt zu werden. Das war ein Novum. Während viele DDR-Oppositionsgruppen in der Halblegalität unter dem Dach von Kirchen usw. arbeiteten, legte es das NEUE FORUM geradezu darauf an offiziell anerkannt zu werden und wurde so auch von vielen bisher DDR-konformen Bürgern ernst genommen. Durch diesen "Marsch durch die Institutionen" bereitete das NEUE FORUM die Grundlage zu den trotzigen Plakaten: "Wir bleiben hier!" statt "Wir wollen raus!" die eben eine neue Qualität und ein neues Bewußtsein in der Auseinandersetzung mit den Staatsorganen begründen sollten. Am 08. November 1989 wurde das NEUE FORUM legalisiert. Das NEUE FORUM beteiligte sich 1990 am Wahlbündnis 90 ? an dem sich verschiedene Oppositionsgruppen beteiligten. (DJ, IFM, UFV) Dies und auch die wachsende Einflußnahme professioneller politischer Strömungen führte dazu, daß viele Menschen diese Plattform verließen . Nach dem Motto "Die Revolution frißt ihre Kinder" versank das NEUE FORUM ab Ende 1990, bis auf punktuelle Ausnahmen in der Kommunalpolitik, in der politischen Bedeutungslosigkeit.

Aufbruch 89
NEUES FORUM

In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische oder zur massenhaften Auswanderung. Fluchtbewegungen dieses Ausmaßes sind anderswo durch Not, Hunger und Gewalt verursacht. Davon kann bei uns keine Rede sein. Die gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft lähmt die schöpferischen Potenzen unserer Gesellschaft und behindert die Lösung der anstehenden lokalen und globalen Aufgaben. Wir verzetteln uns in übelgelaunter Passivität und hätten doch Wichtigeres zu tun für unser Leben, unser Land und die Menschheit. In Staat und Wirtschaft funktioniert der Interessenausgleich zwischen den Gruppen und Schichten nur mangelhaft. Auch die Kommunikation über die Situation und die Interessenlage ist gehemmt. Im privaten Kreis sagt jeder leichthin, wie seine Diagnose lautet und nennt die ihm wichtigsten Maßnahmen. Aber die Wünsche und Bestrebungen sind sehr verschieden und werden nicht rational gegeneinander gewichtet und auf Durchführbarkeit untersucht. Auf der einen Seite wünschen wir uns eine Erweiterung des Warenangebotes und bessere Versorgung, andererseits sehen wir deren soziale und ökologische Kosten und plädieren für die Abkehr von ungehemmtem Wachstum. Wir wollen Spielraum für wirtschaftliche Initiative, aber keine Entartung in eine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen das Bewährte erhalten und doch Platz für Erneuerungen schaffen, um sparsamer und weniger naturfeindlich zu leben. Wir wollen geordnete Verhältnisse, aber keine Bevormundung. Wir wollen freie, selbstbewußte Menschen, die doch gemeinschaftsbewußt handeln. Wir wollen gegen Gewalt geschützt sein und dabei nicht einen Staat von Bütteln und Spitzeln ertragen müssen. Faulpelze und Maulhelden sollen aus ihren Druckposten vertrieben werden, aber wir wollen dabei keine Nachteile für sozial Schwache und Wehrlose. Wir wollen ein wirksames Gesundheitswesen für jeden, aber niemand soll auf Kosten anderer krank feiern. Wir wollen an Export und Welthandel teilhaben,aber weder zum Schuldner und Diener der führenden Industriestaaten noch zum Ausbeuter und Gläubiger der wirtschaftlich schwachen Länder werden. Um all diese Widersprüche zu erkennen, Meinungen und Argumente dazu anzuhören, und zu bewerten, allgemeine von Sonderinteressen zu unterscheiden, bedarf es eines demokratischen Dialogs über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft und der Kultur. Über diese Fragen müssen wir in aller Öffentlichkeit, gemeinsam und im ganzen Land, nachdenken und miteinander sprechen. Von der Bereitschaft und dem Wollen wird es abhängen, ob wir in absehbarer Zeit Wege aus der gegenwärtigen Krisenhaften Situation finden. Es kommt in der jetzigen gesellschaftlichen Entwicklung darauf an:

    • daß eine größere Anzahl von Menschen am gesellschaftlichen Reformprogramm mitwirkt.
    • daß die vielen Einzel- und Gruppenaktivitäten zu einem Gesamthandeln finden.
Wir bilden deshalb gemeinsam eine politische Plattform, für die ganze DDR, die es den Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen,Parteien und Gruppen möglich macht, sich an der Diskussion und Bearbeitung lebenswichtiger Gesellschaftsprobleme in diesem Land zu beteiligen. Für eine solche übergreifende Initiative wählen wir den Namen NEUES FORUM. Die Tätigkeit des NEUEN FORUM werden wir auf gesetzliche Grundlagen stellen. Wir berufen uns dabei auf das, in Art. 29 der Verfassung der DDR geregelte Grundrecht, durch gemeinsames Handeln in einer Vereinigung unsere politischen Interessen zu verwirklichen. Wir werden die Gründung der Vereinigung bei den zuständigen Organen der DDR ensprechend der VO vom 06.11.1975 über die "Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen" (Gbl.I,Nr. 44, S.723) anmelden. Allen Bestrebungen denen das NEUE FORUM Ausdruck und Stimme verleihen will, liegt der Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur zugrunde. Es ist dieser Impuls, den wir bei der kommenden Umgestaltung der Gesellschaft in allen Bereichen lebensvoll erfüllt wissen wollen.

Wir rufen alle Bürger und Bürgerinnen der DDR, die an einer Umgestaltung unserer Gesellschaft mitwirken wollen, auf, Mitglieder des NEUEN FORUM zu werden.

Die Zeit ist reif.






Konzeptionsgemäß (Das Wiki-Prinzip) arbeiten viele Autoren gemeinsam am DDR-Lexikon. Artikel könnten Fehler enthalten oder Rechte Dritter verletzen. Sämtliche Verletzungen der Rechte Dritter gehen zu Lasten des jeweiligen Autoren. Der Betreiber sichert zu, dass er Artikel, die Rechte Dritter verletzen, nach Aufforderung löscht.
Nutzungsrecht: Der Nutzer erhält das Recht zur privaten Nutzung entsprechend UHG. Jede weitere Verwertung im Sinne des UHG ist ohne schriftliche Zustimmung nicht zulässig.