Erna Dorn ist eine wichtige Figur in der DDR-Propaganda ? zu den Ereignissen am 17. Juni 1953, ein immer wieder zitiertes Beispiel dafür, dass hinter dem Aufstand "faschistisch ?e Putschisten" und westliche Agent ?en gestanden hätten.
Die angebliche "SS ?-Kommandeuse von Ravensbrück ?" wird am 17. Juni in Halle aus der Haftanstalt befreit, dann wieder gefangengenommen, am 22. Juni zum Tode verurteilt und am 1. Oktober 1953 in Dresden mit dem Fallbeil hingerichtet.
Ihr wirklicher Name ist bis heute unbekannt. Sie kommt 1945 mit den Flüchtlingsströmen aus der Tschechoslowakei ? in die Sowjetische Besatzungszone und nennt sich Erna Brüser, geborene Scheffler. Erna Brüser weist einen Entlassungsschein aus dem KZ ? vor, ihr Mann, ein Kommunist ?, sei im KZ Sachsenhausen ? ermordet worden. Bald nach ihrer Ankunft heiratet sie Max Gewald, einen „Kämpfer gegen den Faschismus" und Offizier bei der Volkspolizei.
Doch dann bekommt die Geschichte einen Knick: Erna Gewald täuscht eine Schwangerschaft vor, um Schwangerenzuteilungen zu bekommen. Als sie als ehemalige Gefangene gegen Gertrud Rabestein ?, eine Aufseherin im KZ Ravensbrück ? aussagen soll, entzieht sie sich. Als SED-Mitglied veruntreut sie Parteigelder ? und wird schließlich zu 11 Monaten Gefängnis verurteilt, ihr Mann lässt sich von ihr scheiden. Aus dem Opfer des Faschismus ? ist eine gewöhnliche Kriminelle geworden, die bald nach der Entlassung schon wieder in Haft sitzt.
Plötzlich beginnt Erna Gewald, sich selbst zu beschuldigen. Sie erzählt wilde Geschichten von einem Spionagenetz, in dem sie mitgearbeitet habe. Doch die Staatssicherheit ? findet keinerlei Bestätigung, die Unterstellung der Spionage landet bei den Akten. Da hat Erna Gewald noch eine Selbstbezichtigung parat: In Wirklichkeit sei sie eine geborene Kaminski, sei mit dem ehemaligen SS-Unterscharführer ? Erich Dorn ? verheiratet und hätte für die Gestapo im KZ Ravensbrück gearbeitet. Wieder sind die Angaben äußerst widersprüchlich, wieder finden sich keine Belege. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ? sucht monatelang Zeugen unter den ehemaligen KZ-Insassen, doch niemand kennt diese Erna Dorn. Nur aufgrund ihrer eigenen Aussagen wird sie im Frühjahr 1953 schließlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ? zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Am 17. Juni sitzt sie noch in der Untersuchungshaftanstalt in Halle. Die Gefangenen werden befreit, doch am 18. Juni ist Erna Dorn, oder wie immer sie heißen mag, wieder in Haft.
Aber jetzt sind die Gefangene und ihr Selbstbeschuldigungsdrang politisch interessant Am 21. Juni, einem Sonntag, wird Erna Dorn verhört.
Noch am Abend desselben Tages wird die Legende von der SS-Kommandeuse Erna Dorn offizielle DDR-Wahrheit. Politbüromitglied Rudolf Herrnstadt verliest die Erklärung des 14. Plenum ?s der SED zu den Ereignissen am 17. Juni, und darin heißt es:
- "Anhand der in den Westberliner Agentenzentralen vorbereiteten Listen wurden vorübergehend faschistische und kriminelle Verbrecher aus den Haftanstalten herausgeholt wie z. B. die wegen bestialischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der demokratischen Justiz verurteilte Kommandeuse des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, Erna Dorn. So sollte in der DDR eine faschistische Macht errichtet und Deutschland der Weg zu Einheit und Frieden verlegt werden."
Am nächsten Tag beginnt der Prozess, die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. Eine Zusammenfassung des Verhörs vom Vortag wird noch während des laufenden Verfahrens als angebliches Verhandlungsprotokoll an die Presse gegeben.
Zur Kernaussage wird diese Stelle:
- "Frage: Sie haben am 17. Juni auf dem Hallmarkt in Halle gesprochen. Wie kamen Sie als Häftling dorthin?
- Erna Dorn: Die Haftanstalt wurde gestürmt, meine Zellentür wurde aufgeschlossen und zwei Personen kamen herein und fragten mich, warum ich in Haft sei. Ich sagte, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
- Sie antworteten "Solche Leute suchen wir gerade, Sie sind die Richtige".
(Diese Stelle wird später in Stephan Hermlin ?s Novelle ? "Die Kommandeuse ?" auch literarisch verarbeitet werden)
Angeblich wurde Erna Dorn nach ihrer Befreiung in den "Führungsstab der Provokateure" aufgenommen. Zeitzeugen beteuern allerdings, dass überhaupt keine Frau Mitglied der Streik ?leitung war, einen "Führungsstab" gab es ohnehin nur der DDR-amtlichen Propaganda ?.
Beweise gegen Erna Dorn sind wiederum nur ihre Geständnisse und ein Brief, der angeblich bei ihr gefunden worden ist. Darin heißt es:
- "Möge doch nun auch die Stunde kommen, da unser geliebter Führer wieder funktioniert und die Fahnen der nationalsozialistischen Partei wieder wehen werden und ich wieder meinen Dienst in der politischen Abteilung oder bei unserer Gestapo ? versuchen kann [...] Nun das Wichtigste: Schicke mir doch bitte [...] meinen Ausweis und zwar den von KPV Gestapo (RSHA), damit ich rüber komme."
Die Idee, ein Gestapo-Ausweis sei nützlich, um in den Westen zu kommen, passt vielleicht in die Vorstellungswelt der Vernehmer von Erna Dorn, mit der Realität hat sie nichts zu tun.
Erna Dorn wird zum Tod verurteilt.
Die DDR Propaganda setzt auf die Geschichte der SS-Kommandeuse noch eins drauf. Am 26. Juni 1953 verkündet das "Neue Deutschland": Erna Dorn sei in Wirklichkeit die SS-Hundeführerin Rabestein, in Ravensbrück "Rabenaas" genannt. Gertrud Rabestein sitzt allerdings zu diesem Zeitpunkt schon zu lebenslänglich verurteilt in einem DDR-Zuchthaus, und Erna Dorn hatte 1948 sogar als Zeugin gegen sie aussagen sollen. Das schert die DDR-Justiz ? nicht: Erna Dorn, die angebliche Gertrud Rabestein, wird 1953 geköpft, die wirkliche Gertrud Rabestein stirbt 1974 im Gefängnis.
Die wahre Identität der Erna Scheffler-Brüser-Gewald-Kaminski-Dorn-Rabestein ist bis heute ungeklärt. Bei den Personalakten des NS-Regimes im Berlin Document Center ? findet sich kein Hinweis auf eine Erna Dorn oder ihren Mann. Ganz bestimmt war sie nicht die faschistische Putschistin der DDR-Legende ?, wahrscheinlich war sie eine verwirrte, kranke Frau, die im Interesse einer politischen Inszenierung getötet wurde - und ihr Geheimnis mit ins Grab nahm.
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