MfS-Richtlinie 1-76

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Auszug aus der von Erich Mielke erlassenen Richtlinie 1/76 des Ministeriums für Staatssicherheit zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge ?, die Zersetzung betreffend:


Berlin, Januar 1976

MINISTERRAT
DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Ministerium für Staatssicherheit
Der Minister

Richtlinie Nr. 1/76

zur Entwicklung und Bearbeitung
Operativer Vorgänge (OV)


(...)

2.6.   Die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung
2.6.1. Zielstellung und Anwendungsbereiche von Maßnahmen der Zersetzung

Maßnahmen der Zersetzung sind auf das Hervorrufen sowie die Ausnutzung und Verstärkung solcher Widersprüche bzw. Differenzen zwischen feindlich-negativen Kräften zu richten, durch die sie zersplittert, gelähmt, desorganisiert und isoliert und ihre feindlich-negativen Handlungen einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend verhindert, wesentlich eingeschränkt oder gänzlich unterbunden werden.

In Abhängigkeit von der konkreten Lage unter feindlich-negativen Kräften ist auf die Einstellung bestimmter Personen, bei denen entsprechende Anknüpfungspunkte vorhanden sind, dahingehend einzuwirken, daß sie ihre feindlich-negativen Positionen aufgeben und eine weitere positive Beeinflussung möglich ist.

Zersetzungsmaßnahmen können sich sowohl gegen Gruppen, Gruppierungen und Organisationen als auch gegen einzelne Personen richten und als relativ selbstständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge oder im Zusammenhang mit anderen Abschlußarten angewandt werden.

Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zu gewährleisten, daß bei politisch-operativer Notwendigkeit Zersetzungsmaßnahmen als unmittelbahrer Bestandteil der offensiven Bearbeitung Operativer Vorgänge angewandt werden.


Zersetzungsmaßnahmen sind insbesondere anzuwenden:

- wenn in der Bearbeitung Operativer Vorgänge die erforderlichen Beweise für das Vorliegen eines Staatsverbrechens oder einer anderen Straftat erarbeitet wurden und der jeweilige Operative Vorgang aus politischen oder politisch-operativen Gründen im Interesse der Realisierung eines höheren gesellschaftlichen Nutzens nicht mit strafrechtlichen Maßnahmen abgeschlossen werden soll;

- im Zusammenhang mit der Durchführung strafrechtlicher Maßnahmen, insbesondere zur Zerschlagung feindlicher Gruppen sowie zur Einschränkung bzw. Unterbindung der Massenwirksamkeit feindlich-negativer Handlungen;

- zur wirksamen vorbeugenden Bekämpfung staatsfeindlicher Tätigkeit und anderer feindlich-negativer Handlungen, wie z.B.

  • zur Verhinderung des staatsfeindlichen Wirksamwerdens negativer Gruppierungen,
  • zur Einschränkung der Wirksamkeit politisch zersetzender Auffassungen bzw. von schadensverursachenden Handlungen,
  • gegen Organisatoren und Hintermänner staatsfeindlicher Tätigkeit im Operationsgebiet;

- gegen Personen, Personengruppen und Organisationen, von denen Aktivitäten zur Verbreitung bzw. Forcierung der politisch-ideologischen Diversion und anderer subversiver Maßnahmen gegen die DDR ausgehen.


2.6.2. Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung

Die Festlegung der durchzuführenden Zersetzungsmaßnahmen hat auf der Grundlage der exakten Einschätzung der erreichten Ergebnisse der Bearbeitung des jeweiligen Operativen Vorganges, insbesondere der erarbeiteten Ansatzpunkte sowie der Individualität der bearbeiteten Personen und in Abhängigkeit von der jeweils zu erreichenden Zielstellung zu erfolgen.


Bewährte Formen der Zersetzung sind:

- systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben;

- systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen;

- zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw. und die Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive;

- Erzeugen von Mißtrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen;

- Erzeugen bzw. Ausnutzen und Verstärken von Rivalitäten innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen durch zielgerichtete Ausnutzung persönlicher Schwächen einzelner Mitglieder;

- Beschäftigung von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen mit ihren internen Problemen mit dem Ziel der Einschränkung ihrer feindlich-negativen Handlungen;

- örtliches und zeitliches Unterbinden bzw. Einschränken der gegenseitigen Beziehungen der Mitglieder einer Gruppe, Gruppierung oder Organisation auf der Grundlage geltender gesetzlicher Bestimmungen, z.B. durch Arbeitsplatzbindungen, Zuweisung örtlich entfernt liegender Arbeitsplätze usw.

Bei der Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen sind vorrangig zuverlässige, bewährte, für die Lösung dieser Aufgaben geeignete IM einzusetzen.


Bewährte Mittel und Methoden der Zersetzung sind:

- das Heranführen bzw. der Einsatz von IM, legendiert als Kuriere der Zentrale, Vertrauenspersonen des Leiters der Gruppe, übergeordnete Personen, Beauftragte von zuständigen Stellen aus dem Operationsgebiet, andere Verbindungspersonen usw.;

- die Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, Telegramme, Telefonanrufe usw.; kompromittierender Fotos, z.B. von stattgefundenen oder vorgetäuschten Begegnungen;

- die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen einer Gruppe, Gruppierung oder Organisation;

- gezielte Indiskretionen bzw. das Vortäuschen einer Dekonspiration von Abwehrmaßnahmen des MfS;

- die Vorladung von Personen zu staatlichen Dienststellen oder gesellschaftlichen Organisationen mit glaubhafter oder unglaubhafter Begründung.

Diese Mittel und Methoden sind entsprechend den konkreten Bedingungen des jeweiligen Operativen Vorganges schöpferisch und differenziert anzuwenden, auszubauen und weiterzuentwickeln.


2.6.3. Das Vorgehen bei der Ausarbeitung und Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen

Voraussetzung und Grundlage für die Ausarbeitung wirksamer Zersetzungsmaßnahmen ist die gründliche Analyse des Operativen Vorganges, insbesondere zur Herausarbeitung geeigneter Anknüpfungspunkte, wie vorhandener Widersprüche, Differenzen bzw. von kompromittierendem Material.

Auf der Grundlage der Ergebnisse der Analyse hat die exakte Festlegung der konkreten Zielstellung der Zersetzung zu erfolgen.

Entsprechend der festgelegten Zielstellung hat die gründliche Vorbereitung und Planung der Zersetzungsmaßnahmen zu erfolgen. In die Vorbereitung sind - soweit notwendig - unter Wahrung der Konspiration die zur Bearbeitung des jeweiligen Operativen Vorganges eingesetzten bzw. einzusetzenden IM einzubeziehen.

Die Pläne zur Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen bedürfen der Bestätigung durch den Leiter der jeweiligen Haupt-/selbstständigen Abteilung bzw. Bezirksverwaltung/Hauptverwaltung.

Pläne zur Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen gegen

  • Organisationen, Gruppen, Gruppierungen oder einzelne Personen im Operationsgebiet,
  • Personen in bedeutsamen zentralen gesellschaftlichen Positionen bzw. mit internationalem oder Masseneinfluß,
  • sowie in anderen politisch-operativ besonders bedeutsamen Fällen

sind mir bzw. meinem jeweils zuständigen Stellvertreter zur Bestätigung vorzulegen.


Die Durchführung der Zersetzungsmaßnahmen ist einheitlich und straff zu leiten. Dazu gehört die ständige inoffizielle Kontrolle ihrer Ergebnisse und Wirkung. Die Ergebnisse sind exakt zu dokumentieren.

Entsprechend der politisch-operativen Notwendigkeit sind weitere politisch-operative Kontrollmaßnahmen festzulegen und durchzuführen.

(...)


Das vollständige Original der Richtlinie 1/76 (Geheime Verschlußsache, GVS MfS 008-100/76: Richtlinie Nr. 1/76 zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge (OV)) befindet sich im Archiv der BStU.

Der obenstehende Auszug wurde mit größter Sorgfalt erstellt, aber ohne Gewähr für die Korrektheit. Das Zitieren steht nicht im Widerspruch zum "Stasi-Unterlagen-Gesetz" (StUG), sondern beruft sich auf §26 StUG, wonach Dienstanweisungen des MfS ohne Einschränkung verwendet werden dürfen. Insbesondere werden hiermit keine schutzwürdigen Belange Dritter verletzt (§5 Abs.1 StUG).






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