Demokratie Jetzt (DJ) war eine Bürgerbewegung der Opposition in der DDR 1989, zu den Erstunterzeichnern gehörte Ulrike Poppe u.a.
Berlin, den 12. Sept. 1989
Aufruf zur Einmischung in eigener Sache
Liebe Freunde, Mitbürger und Mitbetroffene!
Unser Land lebt in innerem Unfrieden. Menschen reiben sich wund an den Verhältnissen, andere resignieren. Ein großer Verlust an Zustimmung
zu dem, was in der DDR geschichtlich gewachsen ist, geht durch das Land. Viele vermögen ihr Hiersein kaum noch zu bejahen. Viele verlassen
das Land, weil Anpassung ihre Grenzen hat.
Vor wenigen Jahren noch galt der "real existierende" Staatssozialismus als der einzig mögliche. Seine Kennzeichen sind das Machtmonopol
einer zentralistischen Staatspartei, die staatliche Verfügung über die Produktionsmittel, die staatliche Durchdringung und Uniformisierung
der Gesellschaft und die Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger. Trotz seiner unbestreitbaren Leistungen für soziale Sicherheit und
Gerechtigkeit ist es heute offenkundig, daß die Ära des Staatssozialismus zu Ende geht. Er bedarf einer friedlichen, demokratischen
Erneuerung.
Eingeleitet und gefördert durch die Initiative Gorbatschows wird in der Sowjetunion, Ungarn und Polen der Weg der demokratischen
Umgestaltung beschritten. Enorme ökonomische, soziale, ökologische und auch ethnische Probleme stellen sich in den weg und können die
Umgestaltung zum Scheitern bringen mit unheilvollen Konsequenzen für die ganze Welt. Was die sozialistische Arbeiterbewegung an sozialer
Gerechtigkeit und solidarischer Gesellschaftlichkeit angestrebt hat, steht auf dem Spiel. Der Sozialismus muß nun seine eigentliche,
demokratische Gestalt finden, wenn er nicht geschichtlich verloren gehen soll. Er darf nicht verloren gehen, weil die bedrohte Menschheit
auf der Suche nach überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenlebens Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft braucht, deren
Wohlstand die übrige Welt bezahlen muß.
Entgegen aller Schönfärberei sind die politischen, ökonomischen und ökologischen Krisenzeichen des Staatssozialismus auch "in den Farben der
DDR" unübersehbar. Nichts aber deutet darauf hin, daß die SED-Führung zum Umdenken bereit ist. Es scheint, als spekuliere sie auf ein
Scheitern der Reformen in der Sowjetunion. Es kommt aber darauf an, die demokratische Umgestaltung mitzuvollziehen.
Die politische Krise des staatssozialistischen Systems der DDR wurde besonders deutlich durch die Kommunalwahlen am 7.5.1989. Die Doktrin
von der "moralisch-politischen Einheit von Partei, Staat und Volk", die das von Wahlen unabhängige Machtmonopol rechtfertigen soll, konnte
nur noch durch eine Wahlfälschung vor dem Gegenbeweis geschützt werden. 10 bis 20% der Bevölkerung der großen Städte haben den Kandidaten
der Nationalen Front offen ihre Zustimmung verweigert. Zweifellos wäre diese Zahl bei geheimen Wahlen noch erheblich höher ausgefallen.
So viele Menschen werden durch die Nationale Front nicht mehr vertreten. Sie haben keine politische Vertretung in der Gesellschaft. Der
Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach einer Demokratisierung der Verhältnisse von Staat und Gesellschaft kann in der DDR noch immer
nicht öffentlich zu Sprache gebracht werden. Deshalb rufen wir auf zu einer
- ||BÜRGERBEWEGUNG "DEMOKRATIE JETZT"
Wir wenden uns an alle, die von der Not unseres Landes betroffen sind. Wir laden alle Initiativgruppen mit ähnlichen Anliegen zum
Zusammengehen ein. Insbesondere hoffen wir auf ein Bündnis von Christen und kritischen Marxisten. Laßt uns gemeinsam Nachdenken über unsere
Zukunft, über eine solidarische Gesellschaft, in der
- soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde für alle gewahrt sind,
- der gesellschaftliche Konsens im öffentlichen Dialog gesucht und durch den gerechten Ausgleich verschiedener Interessen verwirklicht wird,
- die verantwortliche und schöpferische Arbeit der Bürgerinnen und Bürger einen lebendigen Pluralismus unseres Gemeinwesens schafft,
- Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit den inneren Frieden sichern,
- Ökonomie und Ökologie in Einklang gebracht werden,
- Wohlstand nicht mehr auf Kosten der armen Länder gemehrt wird,
- Lebenserfüllung in Gemeinschaftlichkeit und schöpferischem Tun für das Gemeinwohl mehr als bisher gesucht und gefunden werden kann.
Alle, die sich beteiligen wollen, laden wir ein zu einem Dialog über Grundsätze und Konzepte einer demokratischen Umgestaltung unseres
Landes. Im Januar oder Februar 1990 wollen wir zu einem Vertretertreffen derer, die sich beteiligen, einladen. Es sollte ein
Grundsatzprogramm beschließen sowie Sprecherinnen und Sprecher wählen, die dieses Programm in den dringend erforderlichen Dialog aller
gesellschaftlichen Kräfte einbringen können.
Wir hoffen auch auf die Möglichkeit, eine eigene Liste von Kandidaten für die bevorstehenden Volkskammerwahlen aufstellen zu können.
Als einen ersten unfertigen, unvollständigen und verbesserungsbedürftigen Gesprächsbeitrag fügen wir
Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR
bei. Schreiben sie uns Ihre Meinung und ihre Kritik. Wir bitten Sie um Vorschläge zur Veränderung, Erweiterung und
Vertiefung. Schreiben Sie uns auch, wenn Sie diesen Aufruf unterstützen wollen und lassen Sie uns bitte wissen, wenn Sie uns organisatorisch
unterstützen wollen. Schreiben Sie bitte an eine der folgenden Adressen.
Lassen Sie uns zusammengehen und gemeinsam die Hoffnung wieder aufrichten in unserem Land!
Wolfgang Apfeld, 1035 Berlin,
Dr. Michael Bartoszek, 1034 Berlin,
Stephan Bickhardt, 1055 Berlin,
Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, 1055 Berlin,
Rainer Flügge, 1054 Berlin,
Martin König, Briest,
Reinhard Lampe, 1951 Dorf Zechlin,
Ludwig Mehlhorn, 1058 Berlin,
Ulrike Poppe, 1055 Berlin,
Dr. Wolfgang Ullmann, 1040 Berlin,
Dr. Gerhard Weigt, 1085 Berlin,
Konrad Weiß, 1100 Berlin
Bitte abschreiben und weitergeben.
[Straße, Haus- und Telefonnummer wurden weggelassen]
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