Eine zentrale Forderung der Demonstranten (siehe:Montagsdemonstrationen Leipzig, Demonstration Berlin-Alexanderplatz 4. November) war die nach Reisefreiheit ?. Die SED reagierte am 6. November 1989 mit einem Entwurf für ein Reisegesetz ?. Der Gesetzentwurf stieß auf breite Ablehnung: Die vorgesehenen langen Bearbeitungszeiten, Ablehnungmöglichkeiten, ständige Neubeantragung und die fehlende Regelung für Reisemittel ? sorgten dafür. Daraufhin trat am 7. November 1989 die DDR-Regierung unter Ministerpräsident Willi Stoph zurück.
In dieser Situation fand am 8. und 9. November das ZK-Plenum der SED 1989 ? statt. Gleichzeitig wurde ein einfaches und weitgehendes neues Reisegesetz (Wortlaut) ausgearbeitet und im ZK der SED verlesen, wobei kaum einer der Anwesenden die Brisanz dieses Entwurfs erkannte. Günter Schabowski war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Sitzung anwesend.
Die neue Offenheit der SED zeigte sich auch in regelmäßigen Pressekonferenzen: Die Pressekonferenz vom 9. November wurde live im DDR-Fernsehen übertragen. Sie begann 18:00 Uhr und war ziemlich langatmig. Politbüromitglied Günter Schabowski leitete die Pressekonferenz in seiner Funktion als Sprecher des ZK der SED. (Eigentlicher DDR-Regierungssprecher war Wolfgang Meyer ?, der, obwohl wesentlich besser informiert, gegenüber dem "höherrangigen" Schabowski in alter Parteidisziplin nicht eingriff.)
Kurz vor Ende der Pressekonferenz um 18:57 Uhr fragte der italienische Journalist Ricardo Ehrman (andere Schreibweise: Riccardo Ehrmann), ob der Entwurf des Reisegesetzes nicht ein Fehler gewesen sei. Günter Schabowski erklärte daraufhin, dass Privatreisen und ständige Ausreisen nunmehr möglich seien. Die zuständigen Organe wären angewiesen, Visa ? und Genehmigungen kurzfristig auszustellen:
Also, Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen
von Voraussetzungen, Reiseanlässen und Verwandtschafts-
Verhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden
kurzfristig erteilt.
Zuständige Abteilungen, Pass- und Meldewesen der Volkspolizei-
Kreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur
ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass
dafür noch geltende Voraussetzungen für eine
ständige Ausreise vorliegen müssen.
Bei den anwesenden Journalisten entstand sofort Hektik. Auf die Rückfrage, ab wann die Regelung gelte, blickte der verunsicherte Schabowski auf das Blatt und antwortete:
Das tritt nach meiner Kenntnis, ähh, ist das sofort, unverzüglich.
Im ersten Moment erschien unklar, was Schabowskis Aussage real bedeutet. Die Nachrichtensendungen der ARD und des ZDF brachten die erstaunliche Nachricht sofort. Mehrere "Westsender" sandten Kamerateams zur Berliner Mauer. Politiker der BRD äußerten sich im Laufe des Abends (Reaktionen von BRD-Politikern).
Im Laufe des Abends sammelten sich immer mehr Menschen vor den Berliner Grenzübergangsstellen und forderten die sofortige Einlösung der von Günter Schabowski gegebenen Zusage. Die Grenztruppen und die Passkontrolleinheiten ? des MfS waren völlig überfordert: Weder gab es für eine solche Situation Befehle - noch erhielten diese militärischen Einheiten in dieser Nacht irgendwelche Befehle. Die obersten Führungsspitzen von Staat und SED waren noch auf der ausserordentlichen ZK-Sitzung bis gegen 20:45 Uhr versammelt.
In dieser Situation handelten mehrere Kommandanten von Berliner Grenzübergangsstellen selbstständig mangels eindeutiger Befehlen ihrer Vorgesetzten; sie öffneten den ihnen befohlenen Grenzübergang unter dem Druck der Volksmassen selbstständig. Bereits zuvor wurden wenige besonders aggressive Ausreisewillige bereits durchgelassen, dabei wurden ihnen (ohne ihre Wissen), ihre Personalausweise ungültig gestempelt, so dass sie nicht wieder in die DDR hätten einreisen dürfen. Der erste geöffnete Übergang war die GÜST Bornholmer Straße ? (23:14 Uhr). Der Kommandant befahl "Wir fluten jetzt!"
Im weiteren Verlauf der Nacht wurde die (dort besonders breite) Mauer am Pariser Platz westlich des Brandenburger Tors von Westberlinern erklommen und besetzt. Mit Wasserwerfern wurde am frühen Morgen des 10. November dieser Teil der Mauer geräumt.
Am 10.11.1989 erteilte Generaloberst Fritz Streletz - im Auftrag des Ministers für Nationale Verteidigung der DDR (Armeegeneral Heinz Keßler)- dem Chef der Landstreitkräfte Generaloberst Horst Stechbarth den Befehl zur " Auslösung der erhöhten Gefechtsbereitschaft für die 1.MSD und das Luftsturmregiment 40 in der Bereitschaft ohne Panzer, ohne Artillerie und ohne schwere Technik, um in Berlin zur Unterstützung der Grenztruppen eingesetzt zu werden".
Sinn des Befehls war wohl nicht eine militärische Intervention zum Zwecke der Grenzschließung, sondern die Unterstützung der Grenztruppen für den Fall, dass sie nicht mehr in der Lage sein würden, Ruhe und Ordnung bei plötzlich anfallenden Massengrenzverkehr sicherzustellen.
Da die von der Staatsführung der DDR getroffenen Maßnahmen offensichtlich ausreichten, um eine Gefahr einer erhöhten Gefährdung an der Grenze auszuschließen, wurde die erhöhte Gefechtsbereitschaft für die 1.MSD und das Luftsturmregiment 40 in den Mittagsstunden des 11.November 1989 wieder aufgehoben.
Aus den aus Sicht der DDR-Organe gravierenden Fehlern der Nacht wurden die erforderlichen Schlußfolgerungen gezogen und alle Anstrengungen unternommen, den Betrieb an den Grenzübergangsstellen in Berlin wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Auf Weisung des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrats, Egon Krenz, wurde von Generaloberst Fritz Streletz am 10. November 1989 um 6.30 Uhr der Befehl 12-89 über die Bildung einer operativen Führungsgruppe erarbeitet.
Der 9. November 1989 ist als Tag des Mauerfalls einer der Schlüsseltage der Wende. Es kann daher nicht verwundern, dass es einige Mythen und Legenden sowie offene Fragen gibt.
Siehe auch:
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