(umgeleitet von KoKo)

Kommerzielle Koordinierung

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Der Bereich Kommerzielle Koordinierung (auch die Kommerzielle Koordinierung, KoKo) entstand ab 1964 im Ministerium für Außenhandel (MAH) unter der Leitung des MfS-Offiziers Alexander Schalck-Golodkowski. Schalck hatte diesen Schritt selbst angeregt und sich in einem Brief an Hermann Matern ? als geeigneten Leitungskandidaten empfohlen. Die Gründung wurde mit der Verfügung 61/66 des Ministerrats vom 1. April 1966 aktenkundig und galt zum 1. Oktober jenes Jahres als vollzogen.

Erster (kommissarischer) Leiter wurde der OibE Horst Roigk. Ab November 1966 übernahm dann Schalck die Führung von KoKo. Sein langjähriger Stellvertreter war Manfred Seidel, ebenfalls OibE und Oberst der Staatssicherheit. Nach Schalcks Flucht nach Westberlin im Dezember 1989 leitete Seidel kurzzeitig den Bereich KoKo. Die kommissarische Leitung und Überwachung der KoKo-Auflösung Anfang 1990 übernahm Prof. Karl-Heinz Gerstenberger, dessen Untersuchungsbericht die erste öffentliche Übersicht über den Bereich nach fast 25 Jahren darstellte.

Weil Schalck offiziell als Staatssekretär im MAH fungierte, wurde der Bereich KoKo vereinzelt als Staatssekretariat für Kommerzielle Koordinierung bezeichnet; dies blieb vornehmlich auf Berichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) der BRD und wirtschaftspolitische Analysen aus westlicher Sicht beschränkt.

Laut der Ministerrats-Verfügung 61/66 unterstand die KoKo in ihrer Gründungsphase direkt dem Minister für Außenhandel. Bis zum 2. November 1976 verblieb der Bereich formal im MAH, dann wurde er per Beschluss des Politbüros direkt der ZK-Abteilung Wirtschaft von Günter Mittag unterstellt. Die KoKo arbeitete außerhalb des Staatsplans ? und war nur an Weisungen der höchsten SED-Spitze (Honecker, Mittag) und des MfS (Mielke) gebunden.

Die Tätigkeit des Bereichs zielte auf die Erwirtschaftung von Devisen unter Umgehung der offiziellen (legalen) Möglichkeiten des Außenhandels. Als Anleitung diente dabei unter anderem Schalcks Doktorarbeit, die diverse Methoden der Wirtschaftskriminalität und ihre Anwendung im innerdeutschen Handel beschrieb. Die Gewinne von KoKo gingen direkt an die SED oder das MfS und dienten überwiegend zur Finanzierung geheimer Operationen. Diese Devisen wurden dem eigentlichen Staatshaushalt vorenthalten.

Die Tätigkeit der KoKo umfasste vor allem:

  • Gründung und Betrieb (d.h. Kontrolle, "Anleitung", Gewinnabschöpfung) von Firmen bzw. Firmengeflechten in der DDR und im NSW;
  • Einrichtung und Nutzung von Bankkonten, Stiftungen und Holding-Gesellschaften vorrangig in der Schweiz, in Liechtenstein und den Benelux-Staaten zur Ermöglichung größerer Finanztransaktionen. Hintergrund war die Gesetzeslage, dass DDR-Bürger und -Firmen keine Devisenkonten im Inland führen durften. Der Bereich KoKo hatte zwar seit den 70er Jahren den Status eines Devisenausländers ?, das galt aber nicht für über KoKo agierende Dritte wie das MfS, dessen HVA oder den Mil-ND. Daher "parkte" die KoKo eingenommene Devisen im Ausland. Gesellschafter der Stiftungen bzw. Zeichnungsberechtigte für die Konten waren der DDR verbundene Ausländer als Strohmänner oder Führungskader von KoKo bzw. des MfS, letztere teilweise unter falschen Namen;
  • "fachliche Anleitung" der SED-Parteifirmen im NSW;
  • "fachliche Anleitung" von Außenhandelsfirmen, die auf MfS-Initiative gegründet wurden oder vorrangig für die HVA bzw. den Mil-ND tätig waren (ASIMEX, Transinter ?, Ingenieur-Technischer Außenhandel ? usw.);
  • Beschaffung von Embargogütern;
  • nachrichtendienstliche Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit. Informationen über westliche Handelspartner wurden an die HVA oder andere Diensteinheiten des MfS (HA XVIII) weitergegeben, manchmal auch zur Erpressung ausgenutzt. Erkenntnisse der KoKo-Wirtschaftsspionage gingen an den HVA-Sektor Wissenschaft und Technik.

Die Tätigkeit des Bereichs Kommerzielle Koordinierung unterlag der Geheimhaltung und war in der DDR-Öffentlichkeit bis zum Herbst 1989 praktisch unbekannt.

KoKo-Methoden zur Devisenerwirtschaftung (Auswahl):

  • Vertreterfirmen - siehe dort.
  • Steuerbetrug - Mit Hilfe westdeutscher Partner wurden z.B. für Rohstoffe, Textilien oder Dienstleistungen Preise deutlich über dem marktüblichen Niveau "ausgehandelt". Da in der BRD für den innerdeutschen Handel Steuererleichterungen galten, konnte der westliche Partner umso mehr Steuern sparen, je höher die Preise lagen. Die Steuerersparnis wurde zwischen den Akteuren aufgeteilt bzw. ausgezahlt. Teilweise wurde auch mit Luftbuchungen und Scheinlieferungen operiert, bei denen keine Waren bewegt, sondern nur die westlichen Steuerbehörden betrogen wurden. Beispiel für solchen Betrug: angebliche Lieferungen für das Festspeicherwerk in Zella-Mehlis
  • Falschdeklarationen, Umgehungsgeschäfte - Waren aus Billiglohnländern wurden eingeführt und z.B. in Haftanstalten umetikettiert. Als angebliche DDR-Produkte konnten sie dann in der BRD wegen der Vorzugsbehandlung und Zollfreiheit mit hohem Profit abgesetzt werden. Beispiel für Umgehungsgeschäfte: Billig-Textilien aus Thailand und Korea
  • Antiquitätendiebstahl - siehe Kunst und Antiquitäten GmbH sowie Antikhandel Pirna.
  • Schmuggel - Mangels westdeutscher Kontrollen an den GÜSt zur BRD konnten fast beliebige Waren verschoben werden. Dafür nutzte die KoKo z.B. die Spedition Deutrans ?. Es gab KoKo-Spezialisten für unauffälliges Aufbrechen und Wiederverschließen von Zollplomben und für alle Arten von Dokumentenfälschung (Lieferscheine, Endverbleibserklärungen). Beispiel: Alkoholschmuggel durch Interport, Delta u.a. Diese illegalen Transportmöglichkeiten wurden auch für verbotene Importe (s.u.) genutzt.

Zu den wichtigsten Aufgaben des Bereichs zählten die so genannten Embargogeschäfte, also die Beschaffung strategischer Güter aus dem NSW, die wegen gesetzlicher Bestimmungen nicht in den Ostblock exportiert werden durften (siehe dort).

Das vom Bereich KoKo erwirtschaftete Devisenaufkommen betrug in den 80er Jahren mehrere Milliarden Valutamark p.a., diese Gelder wurden unter anderem verwendet:

  • für die Finanzierung der westdeutschen DKP (ca. 60 bis 70 Millionen DM jährlich) und anderer ausländischer kommunistischer Parteien
  • für den "disponiblen Parteifonds" der SED, der ständig etwa 100 Millionen DM als Reserve enthalten musste
  • für die Versorgung der Politbüro-Funktionäre in Wandlitz (Letex)
  • für illegale Importe westlicher Hochtechnologie (z.B. Mikroelektronik) und von Rüstungsgütern
  • für den operativen Bedarf des MfS und der Auslandsspionage, sowie
  • zur kurzfristigen Bewältigung von Versorgungskrisen.

1982 konnte die drohende Zahlungsunfähigkeit der DDR nur dank der "finanztechnischen" Möglichkeiten des Bereichs KoKo abgewendet werden (siehe Pleite). Im Zuge der Zahlungskrise wurden über 50% der Staatsreserve ? B und C über die KoKo verkauft. 1986 erhielt der Bereich von Mittag auch das Recht, die strategischen Güter der Staatsreserve ? A zu veräußern, also die wichtigsten Roh- und Grundstoffreserven sowie Waffen und Munitionsbestände, die eigentlich zur Ausrüstung der NVA bestimmt waren.

Der Bereich KoKo verfügte über entsprechende Waffenhandelsfirmen. Vor 1986 war meist der Verkauf von ausgedientem NVA-Material und von Munition an Entwicklungsländer über die IMES GmbH oder die NVA-Firma ITA ? vorherrschend. Ein nicht mehr vollständig realisiertes Projekt der IMES war die Produktion der MPi 940.


  • Mitarbeiter von KoKo:

Die KoKo-Zentrale in Berlin hatte 1989 171 Mitarbeiter, in den zum Bereich KoKo zählenden Firmen arbeiteten etwa 3.000 Personen.

Wegen der politischen Brisanz seiner Geschäfte besaß der Bereich KoKo eine enge personelle Verflechtung mit dem MfS. Fast alle KoKo-Führungskader waren OibE oder IM des MfS, oder sie wurden minutiös von MfS-Mitarbeitern überwacht. Die "OibE-/IM-Dichte" in der KoKo-Zentrale lag mit ca. 20 - 25% der Beschäftigten beim Zehnfachen des Durchschnitts in wichtigen Kombinaten und ermöglichte es teilweise gar, dass Angestellte unter gleichzeitiger Aufsicht mehrerer MfS-Mitarbeiter standen bzw. diese sich gegenseitig kontrollierten.

Das Ministerium für Staatssicherheit entschied über die Besetzung der Planstellen, das galt auch für die unteren Ebenen des KoKo-Apparates bis hin zu den Kraftfahrern. Die Bezahlung von Angestellten des Bereichs KoKo lag weit über dem Durchschnittsverdienst.

  • Struktur von KoKo:

Es ist zu unterscheiden zwischen dem Verwaltungsapparat der Berliner KoKo-Zentrale und den mit der konkreten Geschäftstätigkeit befassten ca. 150 KoKo-Firmen (Stand 1989).

    • Beispiele für KoKo-Firmen (Zahlen von 1982):
Firma Mitarbeiter Reisekader IM-Zahl* GHD-Anbindung,
Zuständigkeit**
Antikhandel Pirna BV Dresden
ASIMEX HVA, Abt. XVI
BERAG 8 3 1
BIEG 150 37 6
Camet HVA, SWT
Delta
F.C. Gerlach HVA, Abt. XVI
Forgber 30 8 ?
Forum 248 23 20
GENEX
IMES GmbH 10 6 2
ITA ? Mil-ND, HA XVIII/7
Interport HVA, SWT
INTRAC 510 60 21
KuA 70 11 1
Letex
Philatelie Wermsdorf BV Leipzig
Transinter ? 370 46 23 HA XVIII/7

(* nur, wenn Namen publiziert und ohne HVA/Mil-ND)
(** bei allen: ab 1983/1986 AG BKK, Nennung nur bei abweichender Verantwortlichkeit oder Interessensphäre von HVA/Mil-ND)

Eine umfassende - wenn auch nicht absolut vollständige - Liste der KoKo-Firmen hier.


Der Bereich Kommerzielle Koordinierung (abgekürzt BKK) im MAH darf nicht verwechselt werden mit der Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Staatssicherheit. Der OibE Schalck-Golodkowski bezog seine MfS-Entlohnung als Mitarbeiter der dortigen Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung, offiziell - als Leiter - fungierte er jedoch nur im Bereich KoKo.






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